Schulbücher, Lehrpläne und Unterrichtsinhalte spiegeln oft die Perspektive der dominanten Systeme wider und sind nicht neutral. Wenn man diese Voreingenommenheit aus Angst vor Schaden oder aus Mangel an Hilfsmitteln nicht anspricht, können Vorurteile langfristig negativ auf die Schüler_innen auswirken. Wir hoffen, dass dieser Leitfaden zu einer reflektierten und tieferen Auseinandersetzung mit Lehrbüchern, Lehrplänen und Unterrichtsinhalten beitragen kann, damit der Unterricht relevant ist und mehrere Perspektiven und Vorbilder für alle Schüler_innen bietet.

Wir sind uns bewusst, dass Lehrkräfte und Schüler_innen oft nur eine begrenzte Macht haben, wenn es um die Auswahl von Lehrplaninhalten geht. Wo eine Änderung der Unterrichtsinhalte nicht möglich ist: Dieser Leitfaden bietet Tipps zur Entwicklung kritischen Denkens mit dem Ziel, Schaden zu minimieren und die strukturellen Diskriminierungen innerhalb des bestehenden Lehrplans zu erkennen. Die Anwendung dieser Strategien kann Schüler_innen und Lehrkräften darin helfen, den Kontext, die Wissensbasis und die Agenda, denen der Lehrplan dient, kritisch zu reflektieren. Das Ziel dabei ist, verantwortlich zu werden für die Einbeziehung der fehlenden Geschichten, Wissensbasis und Perspektiven.

Im ersten Teil dieses Leitfadens schlagen wir übergreifende Prinzipien zur Unterbrechung von nicht gewählten Lehrplänen vor. Dann zeigen wir zwei Beispiele darüber, wie diese Prinzipien in der Praxis funktionieren könnten. Dazu bieten wir Links zu Methoden und weiteren Ressourcen für die Minimierung von Schaden und die Anwendung von Methoden des kritischen Denkens auf bestehende Ressourcen.

Dieser Leitfaden richtet sich zwar an Lehrkräfte, die in Schulen arbeiten, er könnte aber für alle nützlich sein, die mit jungen Menschen aus einer Machtposition heraus mit nicht gewählten Inhalten, Themen und Lehrplänen arbeiten. Der Leitfaden wurde hauptsächlich im Kontext der Arbeit in Berliner Schulen geschrieben und spiegelt diese Erfahrungen wider. Wir sind uns bewusst, dass es viele Identitäten und Erfahrungen gibt, die vielleicht nicht in diesem Leitfaden reflektiert wurden. Wenn Sie also etwas kommentieren oder hinzufügen möchten, schreiben Sie uns gerne an: info@mitkollektiv.de

Unterrichtsmethoden im kritischen Denken mit Ihrer Klasse

Allgemeine Prinzipien für kritisches Denken mit nicht ausgewählten Lehrplänen

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Überlegungen bei der Planung Ihres Unterrichts

  • Lernen Sie das Lehrbuch, den Lehrplan, den Inhalt, das Material kennen. 
    Fragen Sie sich: Wer ist der Verlag? Wann wurde es veröffentlicht? Wer hat es herausgegeben? Wer ist der/die Autor_in(en)? Wurde es übersetzt? Welche Perspektiven und Identitäten repräsentieren diese Personen? Welche Vorurteile können Sie erkennen? Aus wessen Perspektive wurde es geschrieben? Welche historischen Quellen werden verwendet? Werden die verwendeten Quellen als Fakten dargestellt? Gibt es eine vielfältige Darstellung von Perspektiven und Identitäten?
  • Stellen Sie fest, welche Perspektiven fehlen.
    Fragen Sie sich: Auf welche Weise könnte dieser Inhalt für die Schüler_innen schädlich sein? Welche Bedürfnisse könnten meine Schüler_innen bei der Behandlung dieses Themas haben? Müssen sie dieses Unterrichtsmaterial verwenden?
  • Achten Sie auf problematische Bilder und Sprache. Können Sie die Sprache und Bilder identifizieren, die problematisch sind? Gehen Sie direkt darauf ein, warum dieses Bild oder diese Sprache nicht in Ordnung ist, wenn Sie es verwenden müssen. Stellen Sie ein Glossar mit Begriffen zur Verfügung, die Ihre Schüler_innen anstelle der problematischen Begriffe

Rassistische Begriffe im Schulmaterial

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Beispiel

Rassistische Begriffe tauchen in Lektüren, Schulbüchern, Atlanten auf.
Im Deutschunterricht der 8. Klasse steht das Jugendbuch “Löcher” von Louis Sachar auf dem Lehrplan. In der deutschen Übersetzung wird das N-Wort mehrfach verwendet.

Fragen, die Sie sich stellen sollten

  • Muss ich das Material mit rassistischen Begriffen verwenden oder gibt es eine Alternative?
  • Wie kann ich Rassismus einschränken und ansprechen, wenn er im Unterrichtsmaterial auftaucht?
  • Welche Wissenslücken und möglichen Privilegien muss ich reflektieren / kennenlernen, bevor ich dies mit meiner Klasse anspreche?
  • Gibt es Perspektiven, die ausgelassen werden? Oder andere Perspektiven als die des dominanten Narrativs?

Tipps und Methoden

  • Lernen Sie, rassistische Begriffe zu erkennen und bringen Sie Ihren Schüler_innen diese Strategien ebenfalls bei
  • Manchmal lässt es sich im Unterricht nicht vermeiden (z.B. Schulatlas oder Pflichtschulbücher).
  • Versuchen Sie im Vorfeld zu erkennen, ob rassistische Begriffe im Material vorkommen.
  • Falls es möglich ist, auf anderes Material (z.B. Lektüre) auszuweichen, dann tun Sie das.
  • Unterschätzen Sie nicht die Gewalt rassistischer Bilder und Begriffe und den Schmerz, den sie BIPOC-Schüler_innenInnen zufügen.
  • Planen Sie immer Zeit für die Reflexion im Unterricht ein.
  • Vielleicht könnten Begriffe/Bilder auch maskiert oder übermalt werden.
  • Verwenden Sie zusätzliche Ressourcen, um das Lehrbuch zu ergänzen, das die BIPOC-Perspektive und die Erzählung rund um das Thema in den Mittelpunkt stellt.
  • Unterstützen Sie Ihre Schüler_innen dabei, kritische Leser_innen zu werden, die in der Lage sind, voreingenommenes, diskriminierendes oder rassistisches Material selbständig zu erkennen.

Wenn Sie die Möglichkeit haben, beginnen Sie ein Gespräch mit Ihren Kolleg_innen über die problematischen rassistischen Materialien und ersetzen Sie die an Ihrer Schule verwendeten Ressourcen. Es gibt externe Pädagog_innen und Mediator_innen, die mit Ihnen und/oder Ihrer Kollegschaft zusammenarbeiten können, um dies anzugehen.

Bitte beachten Sie die Links zu Fortbildungen, Glossaren, Materialien und Methoden, die Ihnen helfen können, dieses Thema in Ihrer Planung sowie in der Arbeit mit Ihrer Klasse und Schule anzugehen.

Europäischer cis-hetero dominanter Unterricht rund um die Familie

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Beispiel

In Ihrer Deutschstunde für die “Willkommensklasse” ist das Beispiel im Lehrbuch zum Einstieg in das Thema Familie von einer weißen cis-hetero Familie mit zwei Kindern.

Fragen, die Sie sich stellen sollten

  • Welche Wissenslücken und möglichen Privilegien muss ich reflektieren / kennenlernen, bevor ich dies mit meiner Klasse anspreche?
  • Was sind die Perspektiven, die ausgelassen werden?
  • Kann ich andere Beispiele verwenden, um dieses Thema anzusprechen?
  • Wie kann ich die Erfahrungen und den Wissensstand meiner Schüler_innen zum Thema Familie nutzen, um das Thema aufzumachen?

Tipps und Methoden

Wenn Sie dieses Bild- und Textbuch mit Ihrer Klasse verwenden müssen:

  • Bevor Sie es aufschlagen, führen Sie das Thema Familie mit einem Bild ein, das die ganze Bandbreite der möglichen Familien zeigt.
  • Entweder davor oder danach spielen Sie ein interaktives Gruppenspiel mit Fragen rund um das Thema Familie, um das bereits vorhandene Wissen und die Erfahrungen in Ihrer Klasse zu teilen.
  • Führen Sie danach Gespräche in kleineren Gruppen, in denen Ihre Schüler_innen über die verschiedenen Definitionen und die Vielfalt von Familie nachdenken.
  • Kehren Sie dann zu der erforderlichen Lernaktivität aus dem Lehrbuch zurück.
  • Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um anzusprechen, dass das Beispiel aus dem Lehrbuch nicht die unterschiedlichen Erfahrungen von Familien in Ihrer Klasse oder im Bild, das Sie zur Einführung in das Thema verwendet haben, wiedergibt.
  • Bitten Sie Ihre Schüler_innen, ihr Wissen und das, was sie von den anderen in der Klasse über Familie gelernt haben, in die Erfüllung der Aufgabe aus dem Lehrbuch einzubringen.

Beachten Sie die Links zu Fortbildungen, Glossaren, Materialien und Methoden, die Ihnen helfen können, dieses Thema in Ihrer Planung sowie in der Arbeit mit Ihrer Klasse und Schule zu berücksichtigen.